*Armut VS Reichtum

Dienstag, 5. Dezember 2006

Armut VS Reichtum

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(c) 2006 von Anna Hochwarter
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Die vielen Gesichter der Armut

Peru zählt zu jenen Ländern Lateinamerikas, die die höchsten jährlichen Wachstumsraten aus wirtschaftlicher Perspektive aufweisen. Dennoch leben rund 50% der Bevölkerung unter der nationalen Armutsgrenze, ca. 20% leiden unter extremer Armut. Während die 10% reichsten PeruanerInnen fast die Hälfte des nationalen Einkommens beziehen, verfügen die 10% ärmsten über nur 1,5% desselben.
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Die Frage nach der Verteilung des Wohlstandes ist somit im Hinblick auf die Bekämpfung von Armut zweifelsohne ausschlaggebend. Gleichzeitig zeigt das peruanische Beispiel so gut wie kaum ein anderes, dass Armut multidimensional und komplex ist und vor allem strukturelle Ursachen hat.

Den diversen, von internationalen Organisationen entworfenen Strategien zur Verminderung von Armut müssen in jedem Fall Definitionen vorausgehen. Was bedeutet Armut in Peru? Wer gilt im peruanischen Kontext als arm, wer als reich und worauf beziehen sich diese Kategorien eigentlich?

Hinsichtlich seiner Ressourcenausstattung kann Peru in keiner Weise als „armes“ Land dargestellt werden. Als vielmehr „reich“ müssen die PeruanerInnen auch in Bezug auf die Größe und die in hohem Maße anzutreffende Biodiversität ihres Landes bezeichnet werden, das rein geographisch in einen westlichen Küstenstreifen (la costa), eine Hochebene (la sierra) und das östlich gelegene Tiefland, den Amazonas-Regenwald (la selva) unterteilt werden kann. Aus diesen drei auffallend voneinander getrennten Großräumen, die sich auch durch Art und Intensität der Bevölkerung unterscheiden, ergeben sich allerdings auch die ersten Ursachen für die extreme Ungleichverteilung des Ressourcenreichtums. So konzentrieren sich an der Küste und in den dort gelegenen großen Städten (allen voran Lima) die wirtschaftlichen Aktivitäten des Landes. Der Großteil der Industriebetriebe und Dienstleistungsunternehmen ist hier anzutreffen. Das Hochland gilt dagegen als wichtige Bergbauregion und ist zudem ein traditionelles Siedlungsgebiet für die indigene Bevölkerung, die hier in Dorfgemeinschaften und größten Teils von der Selbstversorgung lebt. Aufgrund ihrer Angewiesenheit auf die landwirtschaftliche Produktion in Zusammenhang mit einer allgemeinen Knappheit an fruchtbaren Böden suchen viele Angehörige dieser comunidades campesinas in der Migration in die Küstenstädte eine Möglichkeit zur Verbesserung ihres Lebensstandards. Auch das Amazonas-Tiefland zeichnet sich durch einen speziellen Ressourcenreichtum aus, welcher hier in Bodenschätzen (darunter etwa Erdöl) gemessen wird.
Die materiellen Ressourcen – so lässt sich hieraus schließen – sind damit durchaus vorhanden, um angemessene Lebensbedingungen im ganzen Land sicher zu stellen. In der (Wirtschafts-) Politik wurden jedoch bisher andere Ziele verfolgt.

Als Peru in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts seine Unabhängigkeit erlangt hat, bedeutete dies nicht gleichzeitig eine Veränderung oder gar Umkehrung der kolonialen Gesellschaftsstruktur. Eine kreolische Elite (abstammend von den Spaniern) kontrollierte das Land in politischer und wirtschaftlicher Hinsicht. Während Peru als Primärguter-Exportland in den Weltmarkt integriert worden war, begannen nun ausländische Unternehmen in die Industrialisierung des Landes zu investieren. Der Großteil der Bevölkerung, die Bewohner der beiden Großräume der sierra und der selva blieben von diesen Entwicklungen ausgeschlossen; sowohl die politische Partizipation wie auch die Teilhabe an wirtschaftlichen Modernisierungsversuchen stellten das Monopol der Eliten an der Küste bzw. der Großgrundbesitzer im Hochland dar. Diese Merkmale einer Klassengesellschaft sind auch bzw. noch im Peru des 21. Jahrhunderts anzutreffen.
In der Regierungszeit von Fujimori ab 1990 kam es zur endgültigen Durchsetzung neoliberaler Reformpakete, die kurz zusammengefasst in der Öffnung der nationalen Wirtschaft gegenüber ausländischen Investoren, in der wirtschafts- und geldpolitischen Schwerpunktsetzung auf Stabilität und in der Folge in einer Verschärfung von sozialen Gegensätzen bestanden hat. Die Kluft zwischen Arm und Reich ist seither gewachsen, größere Gegensätze zwischen städtischen und ländlichen Regionen sind erkennbar. Seitdem sind die Rückkehr zur Demokratie durch den Kampf gegen Korruption (welche unter Fujimori extreme Ausmaße angenommen hat), die Reorganisation des Staates (etwa durch Dezentralisierung), die Schaffung formeller Arbeitsplätze und die Aufarbeitung der traumatischen Zeitgeschichte zu dringenden politischen Herausforderungen geworden.


Peruanische Selbstinitiativen

Der Abbau von Arbeitsplätzen seit den 90er Jahren stellt für die peruanische Bevölkerung heute ein zentrales Problem dar. Die Hilfeschreie der Betroffenen sind von den Entscheidungsträgern in den Staatszentralen kaum wahrgenommen worden. Doch auch wenn die peruanische Zivilgesellschaft zunehmend durch Armut gefährdet ist, so zeichnet sich die Mehrheit der PeruanerInnen dadurch aus, angesichts der existentiellen Bedrohung nicht passiv zu bleiben. Unermüdlich werden Strategien des Widerstands und der Armutsbekämpfung entwickelt, etwa im Kollektiv durch soziale Netzwerke oder auch individuell.
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Als Beweis für letzteres können die vielen Millionen Menschen (mehr als 50% der arbeitenden Bevölkerung des Landes) genannt werden, die im informellen Sektor tätig sind und im Aufspüren von Marktnischen manchmal besondere Kreativität an den Tag legen. Die unzähligen Straßenverkäufer, die in den Großstädten manchmal an Kreuzungen warten, bis die Ampel rot zeigt und dann den Autofahrern neben Süßigkeiten auch Klopapier verkaufen oder auf dem Zebrastreifen akrobatische Einlagen vorführen, können hier als Beispiele genannt werden. Solche informellen Arbeitsverhältnisse sind jedoch durch geringe Produktivität und nur sehr kleine Einnahmen gekennzeichnet. Die fehlende soziale Absicherung stellt eines der Hauptprobleme für die Betroffenen dar. Die Familie hat sich in diesem Zusammenhang zum wichtigsten sozialen Auffangmechanismus entwickelt.

Eine weitere Möglichkeit zur Selbsthilfe sehen viele in der Migration ins Ausland, besonders in die USA, aber auch nach Europa. So leben und arbeiten inzwischen etwa 2,5 Millionen PeruanerInnen im Ausland. Mit den so genannten remesas liefern sie einen wichtigen Beitrag zur ökonomischen Entwicklung des Landes. Es handelt sich hier um Geldrücksendungen an die im Land gebliebenen Familien.
Davon abgesehen werden von der peruanischen Zivilgesellschaft laufend neue Initiativen ins Leben gerufen, darunter etwa die zahlreichen comités del vaso de leche und die clubes de madres (hier werden von Frauen Strategien zur Selbstermächtigung und zur Überwindung von Armut entworfen), ein wachsendes Netz von Gesundheitszentren oder auch Mikrokreditprogramme.


Nachhaltige Armutsbekämpfung stellt eine Herausforderung für die peruanische Politik und Wirtschaft dar. Es gilt vor allem zu berücksichtigen, dass die Bedürfnisse der von Armut betroffenen PeruanerInnen nicht rein ökonomisch sind, sondern vielmehr im Kontext des Sozialen und des Politischen gesehen werden müssen. Der Mangel bzw. die „Armut“ an politischer Partizipation, an demokratischen Strukturen, an sozialen Sicherungsmöglichkeiten und nicht zuletzt an interkultureller Solidarität sollte daher im Mittelpunkt jeder Auseinandersetzung mit dem Thema „Armut(sbekämpfung) in Peru“ stehen.

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